Dies ist Teil III der Artikelserie „Die Zielgruppe im Gesundheitsmanagement“ und hier geht es um die Kriterien, die bei der Selektion der Zielgruppe ausschlaggebend sind.

Hier erfahren Sie, welche Kriterien für

  • die bedarfsgerechte Entwicklung von Programmen und
  • die Zuordnung von Patienten zu der für sie passenden Interventionsgruppe

erleichtern.

Insbesondere geht es um:

und welche Rolle diese drei Dimensionen jeweils für den Erfolg einer Gesundheitsmanagement-Intervention spielen.

In Teil I ging es darum, warum die Heterogenität einer Interventionsgruppe häufig unterschätzt wird.

In Teil II ging es um die Präsentation Ihres Business Case unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Interventionsgruppe und der Perspektiven der anderen Stakeholder

 

Die Kriterien anpassen an die Komplexität der Zielgruppe

 


Die Zielgruppe ist – siehe Teil I – meist weniger homogen als man denkt. Das liegt daran, dass man sich häufig auf die medizinischen Aspekte konzentriert und zu wenig berücksichtigt, welche individuellen Kriterien den Erfolg des Patienten im Programm wesentlich mitbestimmen.

 

 

Die medizinischen Aspekte im Zusammenhang mit Ihrer Intervention

 

  • geben die Inhalte dessen vor, was der Patient ändern oder lernen oder üben muss
  • sind Auswahlkriterium für das Angebot zur Teilnahme an die Patienten (Auffinden der Zielgruppe)
  • dienen – neben anderen möglichen Indikatoren – zur Ergebnismessung

 

Die medizinischen Indikatoren für die Definition der Zielgruppe


Beispiele:

  • Die Erkrankung (Diagnose) Ihrer Zielgruppe
  • Das Stadium oder die Verlaufsform dieser Erkrankung
  • Die medizinischen Daten, mit denen Sie Ihre Zielgruppe identifizieren. Z.B. Diagnosecodes, bestimmte Therapieform(en),
  • Die Leistungsdaten, an denen sie Ihre Gruppe erkennen. Z.B. bestimmte Anzahl Krankenhausaufenthalte, oder (noch) keine Krankenhausaufenthalte, bestimmte Verordnungen, oder das Fehlen bestimmter Verordnungen.

 

Das Ziel Ihrer Intervention


Sie könnten zum Beispiel das Ziel haben, Patienten in die Lage zu versetzen, ihre Krankheit so zu managen, dass akute Verschlechterungen oder Notfälle entweder gar nicht erst auftreten oder zukünftig zumindest vermieden werden.

Der objektive Indikator, ob Sie Ihr Ziel erreichen, könnte demnach die Anzahl der ungeplanten Krankenhaus-Aufnahmen (mit entsprechender Diagnose als Aufnahmegrund) bei Ihrer Interventionsgruppe sein.Falls eine akute Verschlechterung nicht notwendigerweise zur Krankenhaus-Aufnahme führt, ist es ein anderer Indikator: entweder ein objektiv messbares Symptom oder die objektiv messbare Inanspruchnahme einer bestimmten Leistung.

Oder das Ziel könnte sein, dass die Adhärenz erhöht wird, um das Auftreten von Folgeerkrankungen zu vermeiden.

Hier wäre der objektive Indikator zum Beispiel ein bestimmter Laborwert. Vielleicht ein Medikamentenspiegel, der die Adhärenz bzgl. der Tabletten-Einnahme bestätigt. Oder ein anderer diagnostisch objektiv messbarer Wert, der einen Hinweis darauf gibt, dass die Erkrankung „gut gemanagt wird“ und/oder nicht oder wesentlich langsamer fortschreitet.

Selbstverständlich gibt es auch subjektive Indikatoren, die eine wichtige Rückmeldung beinhalten.Zum Beispiel Zufriedenheit, Wohlbefinden oder eine neue Zuversicht im Umgang mit der Erkrankung. Diese subjektiven Indikatoren halte ich ebenfalls für wichtig.

Um den Mehrwert, den Ihre Intervention beisteuert, zu belegen – und auf dessen Basis dann auch eine angemessene Vergütung zu verhandeln – benötigen Sie aber natürlich objektive Daten.


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Die Lebensumstände und Vorlieben des Patienten

 


Wie und unter welchen Bedingungen lernt der Patient am besten? Was befähigt ihn, Gewohnheiten zu verändern, falls das für das Erreichen des Ziels nötig ist?

Angenommen, bei der Intervention geht es um die Vermittlung von Wissen, vielleicht noch kombiniert mit praktischer Anleitung zum Etablieren bestimmter neuer Gewohnheiten oder Reaktionsweisen.

 

In welchem Setting lernt der Patient am besten?


Manche Menschen tun sich gerne mit Gleichgesinnten zusammen und lernen gerne und gut in der Gruppe. Die Unterstützung durch die Gruppe spornt sie an.

Anderen ist das vielleicht eher ein Graus. Sie lernen am liebsten und am besten alleine. Vielleicht kombiniert mit der Möglichkeit, sich über Telefon oder Chat fachlichen Rat und Unterstützung einzuholen.

Wieder andere haben vielleicht wegen beruflicher oder privater Verpflichtungen gar nicht die Möglichkeit, zu einer bestimmten Zeit and einem bestimmten Ort zu sein, um an einem festen Termin teilzunehmen.

Aber nicht nur die Art, wie und wo sie lernen, unterscheidet die Menschen. Die Menschen unterscheiden sich auch danach, mit welcher …

 

Art der Präsentation


… sie am besten interagieren.

Der klassische Frontal- und Präsenzunterricht ist eine Variante, die sicher ihren Platz hat.

Andere schauen sich vielleicht lieber zuhause gemütlich Schulungsvideos an, und haben da mehr davon, als wenn sie in einem Klassenzimmer sitzen würden.

Manche brauchen Material „zum Anfassen“ und wollen die Schulungsmaterialen als Hardcopy.

Wieder andere wollen unterwegs auf dem Weg zur Arbeit lesen, aber nichts extra schleppen. Sie nehmen lieber ihr Tablet oder Smartphone. Und was da nicht drauf ist, wird auch nicht gelesen.

Manche dokumentieren am besten auf einem Blatt Papier, und andere – Sie ahnen es – dokumentieren gar nichts, wenn sie dafür nicht eine App auf dem Smartphone haben.

Manche telefonieren gerne, andere chatten lieber.

 

Der Startpunkt des Patienten


Hier geht es um die Frage, ob alle Patienten die Voraussetzungen haben, das Lernziel zu erreichen. Zuerst fallen einem da natürlich die üblichen Dinge ein, wie Sprachverständnis, Bildung, etc. Aber darum geht es mir hier nicht.

Sagen wir, Sie bieten eine Intervention an, bei der die Patienten lernen sollen, im Alltag eine bestimmte Diät einzuhalten oder ihre Ernährungsgewohnheiten anzupassen. Sie lernen etwas über die Zusammensetzung der Nahrung, über Lebensmittel und deren Zubereitung. Sie erfahren etwas über ihren Stoffwechsel und worauf beim Einkauf zu achten ist. Vielleicht auch über die beste Verteilung der Nahrungsmenge über den Tag. Der Kurs ist zugeschnitten auf den „Durchschnittsbürger“ mit einem „durchschnittlichen Tagesablauf“.

Von diesem Kurs, wenn er so durchgeführt wird, wird der Fernfahrer, der 6 Tage in der Woche unterwegs ist und sich in Autobahnraststätten verpflegen muss, nicht profitieren. Der viel reisende Geschäftsmensch mit unregelmäßigem Tagesablauf und sehr langen Reisetagen auch nicht. Die brauchen etwas anderes bzw. ein zusätzliches Angebot, das ihre Situation adressiert, wenn sie klar kommen sollen. Das könnte z.B. eine praxisorientierte Beratung zur Verpflegung in Raststätten und Restaurants sein.

In diesem Zusammenhang muss auch das Thema „kultureller Hintergrund“ angesprochen werden. Es kann für den Erfolg durchaus wichtig sein, entsprechende Gewohnheiten (z.B. beim Essen, bei der Bewegung) zu berücksichtigen. Eventuell kann es in einem patriarchalischen Umfeld sinnvoll sein, das „Familienoberhaupt“ teilweise mit einzubeziehen. Wenn die Zielgruppe groß genug ist und das Thema ein Eingehen auf bestimmte kulturelle Aspekte erfordert, ist es durchaus überlegenswert, spezifische Kurse oder Module für eine bestimmte Untergruppe anzubieten.

 

Die Selektionskriterien müssen sitzen


Wenn Sie also – um beim Beispiel zu bleiben – ein Programm anbieten für „Durchschnittsbürger“ mit einem „durchschnittlichen Tagesablauf“, dann sorgen Sie am besten bereits bei der Selektion ihrer Zielgruppe dafür, dass auch nur solche Teilnehmer eingeschrieben werden können, die dieser Definition entsprechen.

Falls Sie für die anderen keine geeignete Intervention oder zusätzliche Module entwicklen können (oder wollen), dann nehmen Sie sie konsequenter Weise nicht in Ihr Programm auf. Wenn Sie es doch tun, dann hat der Patient nichts davon, im Gegenteil, es ist frustrierend und entmutigend für ihn. Und die Ergebnisse Ihres Programms leiden darunter, wenn Ihre Zielgruppe nicht stimmt.

Das ist auch wichtig für Ihren Business Case. Nicht die Anzahl der Menschen, die die entsprechende Diagnose haben, ist die Zahl, mit der Sie kalkulieren. Die Anzahl derer, die von ihrer Intervention profitieren können, ist die entscheidende Zahl. Die ist immer geringer, als die Anzahl der Menschen mit der entsprechenden Diagnose.

Wenn Sie anfangs bei Ihrer Kalkulation von zu hohen Teilnehmerzahlen ausgehen, geraten Sie später schnell unter Druck, im Verlaufe des Programms die Selektionskriterien zu lockern. Damit erhöhen Sie dann zwar die Teilnehmerzahl, aber die Ergebnisse Ihres Programms verschlechtern sich, weil die Zielgruppe nicht mehr die richtige ist.


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Die Phasen der Veränderungsbereitschaft

 


Ist der Patient überhaupt an dem Punkt, an dem er nicht nur vielleicht theoretisch mehr oder weniger zögerlich zustimmt, dass er „etwas ändern“ muss? Ist er auch bereit, zu handeln?

Wir kennen das aus unserem Alltag. Es vergeht Zeit zwischen dem Moment, an dem wir einsehen, dass eine Änderung vorteilhaft wäre, und dem Zeitpunkt, zu dem wir dann tatsächlich auch anfangen, etwas zu tun.

Das bekannteste Modell zu diesem Thema ist:

 

Das Transtheoretische Modell von Prochaska und DiClemente


Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, eine einfache Suche unter den passenden Begriffen deckt viele gute Quellen auf für diejenigen, die sich eingehend damit beschäftigen wollen. Deshalb nur ganz kurz: Es handelt sich um ein Konzept zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage von intentionalen Verhaltensänderungen

Manchmal werden für dieses Modell 6 Stadien aufgeführt, manchmal nur 5 (unter Weglassung des ersten Stadiums, wahrscheinlich, weil das erste Stadium in der Praxis der Verhaltensänderung keine große Rolle spielt: man erreicht die Leute nicht).

Aber hier sind alle 6

 

Copyright: Prof. Dr. Jürgen Hoyer, TU Dresden, 2012 Unter dem Link finden Sie die vollständige Originalpräsentation

 

Es gibt auch noch andere Stadienmodelle, die teilweise einfacher aufgebaut sind oder vielleicht auch gezielt für die Anwendung in der Praxis entwickelt wurden.

Alle diese Stadienmodelle haben allerdings Gemeinsamkeiten. Sie gehen davon aus, dass

  • sich jeder Patient/Teilnehmer einem Stadium der Veränderungsbereitschaft zuordnen lässt
  • jedes Stadium eine spezifische Intervention erfordert, um Verhaltensänderungen voranzubringen, und
  • Interventionen dann am wirksamsten sind, wenn sie auf das Stadium, in dem sich der Patient befindet, zugeschnitten sind.

 

In der Praxis eines Gesundheitsmanagement-Programms …


… sind letztlich 3 dieser Stadien interessant (im obigen Modell sind das die Stadien 3-5):

 

Motivation


Vorbereitung: Der Patient hat erkannt, dass Änderungen wünschenswert wären und möchte auch aktiv werden. Er weiss vielleicht noch nicht genau, wie und was, ist aber offen für Beratung, Informationen und Unterstützung. Er ist bereit und motiviert, Dinge auszuprobieren.

 

Aktion


Handlung: Der Patient wird aktiv. Er setzt – ggf. mit Unterstützung – Ziele, definiert den Weg zur Zielerreichung. Er lässt sich unterstützen und beraten, wenn es mal schwer fällt, oder wenn er Rückschläge erlebt.

 

Aufrechterhaltung


Aktive Beibehaltung: Der Patient hat die neuen Gewohnheiten weitgehend in seinem Leben etabliert. Erreichtes und das soziale Unterstützungssystem werden genutzt und „im Auge“ behalten. Rückschläge werden erkannt, und der Patient hat gelernt, offen und konstruktiv mit ihnen umzugehen.

 

Im Modell von Prochaska/DiClemente gibt es das Stadium 2 der „Kontemplation“. Durch entsprechende Interventionen kann der Übergang vom Stadium der „Kontemplation“ zum Stadium der „Vorbereitung/Motivation“ ggf. beschleunigt werden.

Dennoch: es ist sinnvoll, darauf zu achten, dass nur Patienten aktiv an einem Gesundheitsmanagement-Programm teilnehmen, die das Stadium der „Motivation“ erreicht haben. Sonst hat der Patient nichts davon (im Gegenteil, es demotiviert ihn und macht ihn dann auch weniger ansprechbar für eventuelle spätere Interventionsangebote) und es verschlechtert Ihre Ergebnisse.

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Fazit: Dreidimensionaler Ansatz


Die 3 Aspekte

  • Medizinische Kriterien
  • Lebensumstände und Vorlieben des Patienten
  • Veränderungsbereitschaft

haben alle gleichermaßen einen wesentlichen Einfluss darauf, ob ein Patient von Ihrem Interventionsangebot profitieren kann – und damit einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis und den Erfolg Ihres Angebotes.

Wenn man diese 3 Aspekte jeweils den Kanten (L, B, H) eines Würfels oder Quaders zuordnet, erhält man einen dreidimensionalen Lösungsraum, der grob skizziert etwa so aussehen wird:

 

Dreidimensionaler Lösungsraum. Darstellungsidee: TUMAINI-Institut für Präventionsmanagement GmbH. (Anpassungen durch mich)

 

Wie dieser „Lösungsraum“

  • sowohl die bedarfsgerechte Entwicklung und/oder Auswahl von Programmen, als auch
  • die Zuordnung von Patienten zu der für sie passenden Interventionsgruppe

im Gesundheitsmanagement in der Praxis erleichtern und standardisieren kann, darum wird es in einem der nächsten Artikel gehen.

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Die Zielgruppe im Gesundheitsmanagement (Teil III): Dreidimensionaler Ansatz

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