An dieser Stelle finde ich es sinnvoll, mal ganz praktisch zu werden und das, was in dem Artikel über den „Dreidimensionalen Ansatz bei der Auswahl der Zielgruppe“ beschrieben wurde, an einem Beispiel durchzugehen.
Dazu nehmen wir hier einfach den „Diabetes Mellitus im praktischen Gesundheitsmanagement“. Ich erkläre gleich, warum.
Man könnte natürlich auch eine andere chronische Erkrankung nehmen – ich werde im Laufe der Zeit sicher mehr Artikel mit Praxisbeispielen online stellen. Wenn Sie ein spezielles Interesse haben, melden Sie sich, dann greife ich Ihr Thema vorrangig auf oder, wenn sich mehrere Leute melden, gibt es auch ein kleines Webinar.
Ich gehe bei dem Praxis-Beispiel nach dem gleichen Muster vor, wie im vorgenannten Artikel beschrieben.
Die medizinischen Aspekte
Nehmen wir also den Diabetes mellitus, der sich insofern recht gut als Beispiel eignet, weil sich die meisten unter der Erkrankung etwas vorstellen können und weil man schon rein an den medizinischen Kriterien erkennen kann, dass die Gruppe sehr heterogen ist.
Dies wird keine Abhandlung über den Diabetes mellitus, hier geht es um die Heterogenität der Zielgruppe, die auch beim Diabetes leicht zu unterschätzen ist. Aber auch rein medizinisch betrachtet, gibt der Diabetes in Bezug auf Heterogenität schon einiges her:
Was genau hat der Patient und wie wird er therapiert?
Erkrankungsart:
- Diabetes Typ 1
- Diabetes Typ 2
- Sonderformen (auf die hier nicht näher eingegangen wird)
(Die Hauptzielgruppe für größere Interventionsprogramme sind nach wie vor Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, einfach wegen der Häufigkeit des Vorkommens und des erheblichen Potentials, das bei verbesserter Adhärenz speziell hier gehoben werden kann.)
Bei Typ 2
- Therapieform: keine Medikamente, orale Medikation oder Insulin-Therapie?
- Krankheitsstadium:
- Vorstufe (metabolisches Syndrom)?
- Diagnostizierter Diabetes Mellitus?
- Folgeerkrankungen (Herzkreislauf, Nieren, etc)
Auch bestimmte Ereignisse können ein Auswahlkriterium sein, z.B.: akute Entgleisungen. Die wären erkennbar an entsprechenden Diagnosecodes bei nicht-elektiven Krankenhausaufnahmen, also Notfallaufnahmen
Die Auswahl der Patienten und der Inhalt der Intervention
Je nachdem, welches Ziel Ihre Intervention hat, bestimmen die o.g. Kriterien die Auswahl der Patienten, die davon profitieren sollen.
Denkbar sind gerade bei einer solchen Population die verschiedensten Varianten: Einige – aber nicht die einzig möglichen – Beispiele:
- Sie können z.B. Menschen adressieren, die
- zwar schon die Diagnose „Diabetes“ erhalten haben,
- aber noch keine Notfallaufnahmen hatten.
- In diesem Fall würden Sie in den Leistungsdaten der Krankenkasse wahrscheinlich
- einen Glucosetoleranztest,
- und irgendwann anschließend den Diagnosecode für Diabetes finden
- und keine ungeplanten Krankenhausaufnahmen mit der Hauptdiagnose Diabetes.
- Ihr Managementziel wäre dann wahrscheinlich,
- dass es weiterhin keine Entgleisungen, erkennbar an Notfallaufnahmen, gibt
- und sekundär vielleicht auch die Folgeerkrankungen hinausgezögert werden.
- Eine andere Möglichkeit wäre, dass Sie gezielt eine Problematik angehen, indem Sie sich
- auf Patienten konzentrieren, die innerhalb eines bestimmten zurückliegenden Zeitraums eine Notfallaufnahme wegen des Diabetes hatten.
- Demnach wäre das Interventionsziel, dass die Erkrankung so gemanagt wird, dass es nicht mehr zu akuten Entgleisungen der Stoffwechsellage kommt.
- Oder, Sie fassen alle Patienten zusammen, und schliessen nur diejenigen aus, die bereits so viele schwere Folgeerkrankungen haben, dass der Diabetes gar nicht mehr im Vordergrund steht – oder denen es mittlerweile einfach zu schlecht geht für ein solches Programm.
- Hier wäre das Interventionsziel wahrscheinlich, eine Progression der Erkrankung durch entsprechendes Management möglichst lange hinauszuzögern.
- In diesem Fall hätten Sie ein sehr komplexes Programm mit unterschiedlichen (medizinischen) Gruppen, die natürlich auch unterschiedliche Dinge (Inhalte, Verhaltensweisen) lernen müssten. Der Übergewichtige mit dem metabolischen Syndrom braucht andere Unterstützung und andere Lerninhalte als der insulinpflichtige Diabetiker, der schon öfter mal notfallmäßig ins Krankenhaus musste.
Die Lebensumstände und das Lernverhalten des Patienten
Beim Management des Diabetes mellitus geht es um:
- die Vermittlung von Wissen über die Erkrankung, über den Stoffwechsel und die von Krankheitsstadium abhängige Therapie.
- die Möglichkeiten des Sebstmanagements, d.h. zum Beispiel Kontrolle des Blutzuckerspiegels oder auch die Zusammensetzung der Nahrung.
- Um die Anpassung des „Lebensstils“, hier insbesondere „gesündere“ Ernährungsgewohnheiten und mehr Bewegung.
Hier ist die Ausgangslage bei den einzelnen Patienten sehr unterschiedlich. Die Frage ist also nicht nur „was muss der Patient lernen oder sich aneignen“, sondern „wie lernt er am besten, wo lernt er am besten“?
Am besten teilen Sie die potenziellen Teilnehmer in Gruppen ein.
Einerseits müssen Sie der Heterogenität der Gruppe, und damit der Individualität der Patienten, für einen möglichst guten Erfolg des Interventionsprogramms genüge tun – andererseits muss die ganze Sache „gemanaged werden“ können, das heisst, Sie müssen und wollen auch die Komplexität reduzieren, indem Sie möglichst viel standardisieren. Einige Beispiele:
- Menschen die gerne und auch besser in einer Gruppe lernen
- Menschen die lieber und besser alleine lernen (oder keine Zeit für eine Gruppe haben) und nur einen Ansprechpartner für die Klärung von Fragen brauchen.
- Internet-/ Computer-Affinität oder nicht?
- Mehr Beispiele finden Sie hier
Wo stehen wir dann?
Sie können also jetzt verschiedene Gruppen bilden aus medizinischen Kriterien in Kombination mit den Lebensumständen und dem Lernverhalten.
Zwei Beispiele:
- Bereits diagnostizierte Diabetiker,
- die mit oraler Medikation behandelt werden (also bestimmte Dinge lernen müssen) und
- die aber aus beruflichen oder privaten Gründen keine Zeit für einen wöchentlichen Präsenzkurs haben und
- deshalb ihr Material am liebsten auf dem Handy/ Tablet / Computer abrufen und
- eine Mail Adresse brauchen, an die sie Fragen richten können, die dann alle 2 Wochen in einem Webinar beantwortet werden.
- Ziel bei dieser Gruppe wäre dann,
- die Stoffwechsellage zu stabilisieren oder zu bessern,
- und Folgeerkrankungen in ihrer Entwicklung erheblich zu verlangsamen (messbar durch z.B. bestimmte Laborwerte, Reduzierung/Vermeidung nicht- elektiver Krankenhausaufnahmen, bestimmte Diagnosecodes)
- Patienten mit metabolischem Syndrom,
- das heisst eine Vorstufe des Diabetes mellitus,
- meist in Verbindung mit Übergewicht, Bewegungsmangel und bestimmten ungünstigen Ernährungsgewohnheiten –
- und die am liebsten in der Gruppe mit Gleichgesinnten lernen und in der Gemeinschaft mit anderen am besten motiviert werden.
- Ziel bei dieser Gruppe wäre dann wahrscheinlich, durch mehr Bewegung und bessere Ernährung die Diagnose Diabetes noch rechtzeitig abzuwenden und insgesamt des Gesundheitsstatus zu verbessern.
Die Phase der Veränderungsbereitschaft, in der sich der Patient befindet
Zum theoretischen Hintergrund finden Sie hier einige Infos. Dieser Aspekt ist wichtig. Ja, die Formulierung ist ein bisschen „abgedroschen“, aber zutreffend: Sie müssen den Patienten dort abholen, wo er sich befindet, sonst kann er Ihr Angebot nicht erfolgreich durchlaufen (das ist schlecht für ihn und für Sie)
Es leuchtet ein, dass jemand, der gerade mal anfängt, Veränderungen seiner alltäglichen Gewohnheiten auszuprobieren, eine andere Art des Supports benötigt, als jemand, der schon recht routiniert und die meiste Zeit auch erfolgreich einen neuen Lebensstil umsetzt.
Der Lösungsraum
Sie erhalten also einen dreidimensionalen „Lösungsraum“, in den Sie Ihre Interventionsteilnehmer in Gruppen (hier dargestellt als grüne Würfel) einordnen können – und dann auch entscheiden können, für wen Ihre geplante(n) Intervention(en) wirksam sein können.
Demnächst: für welche Gruppe entwicklen Sie eine neue Intervention, und muss es überhaupt immer eine neue Intervention sein?
Sie müssen nicht für alle Gruppen eine Intervention anbieten. Machen Sie das, was Sie am besten können und suchen Sie sich genau die Patienten, die von den Inhalten und der Präsentationsform am besten profitieren. Das sind die Haupt-Zutaten für ein erfolgreiches Programm. Oder schleusen Sie die richtigen Patienten in ein eventuell bereits existierendes für sie passendes Programm. Auch das ist eine Kunst für die man sich honorieren lassen kann, wenn die Ergebnisse stimmen.
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